Demnächst begrüssen wir die Deutsche Musikerin “Antje Schomaker” bei uns im Vinylopresso Interview.
“Kann Loslassen etwa Spaß machen? Die Antwort darauf ist einfach wie kurz: Ja. So anstrengend die Vorstellung, immer wieder zu gehen, oder gehen zu lassen, für einen Großteil Menschen anmuten mag, so sehr findet diese Anstrengung in „Verschwendete Zeit“ ihr gut dreiminütiges Gegenstück.
Hieß es auf dem Debüt noch „Bis mich jemand findet“, oder „Wir vermissen eine Liebe einfach aus Prinzip“, finden sich Zeilen wie diese nun ersetzt durch die absolute Zusage an das Ich. Warum noch darauf warten gefunden zu werden, wenn man sich stattdessen längst selbst gefunden hat? Gut zwei Jahre nach „Von Helden und Halunken“ sitzt Antje ihrem Publikum, genauso aber sich selbst, mit einem blutverschmierten Messer in der Hand gegenüber. Die Nacht ist schwarz, die Haare sind kurz und das wortwörtlich alte Ego liegt erstochen im Bett, Audiokommentar: „Nagut, Dinge vergehen“. Schon innerhalb dieser ersten zwanzig Sekunden Musikvideo wird deutlich: künstlerische Entwicklung findet genauso sehr auf dem wie im Kopf statt, macht weder halt vor dem eigenen Kleiderschrank, noch scheut sie sich davor, in einem radikalen, musikalischen Neuanfang zu münden, der zunächst grundsätzlich geglaubtes infrage stellt.
„Verschwendete Zeit“ beschreibt eindeutig ein kräftezehrendes, schließlich erfolgreiches Beziehungsende. Aber wer hinter Zeilen wie „schneid‘ mir die Haare ab, obwohl du sie magst, zieh‘ einfach an, was ich gerne trag‘“ nur das Ende und die viel zu oft als Klischee verschriene Typveränderung sieht, macht es sich zu einfach. Schomakers gut dreiminütiger, musikalischer Reset strahlt nicht vorrangig Ende aus, sondern bedeutet viel mehr persönliches Wachsen, seine Grenzen neu zu definieren und sie laut auszusprechen. „Um loszulassen braucht es vor allem ganz viel Vorstellungskraft, denn es bedeutet auch immer, sich selbst losgelöst von Personen und Umständen vorstellen zu können und erst wenn man das kann, hat man den Mut zu gehen“. „Verschwendete Zeit“ ist also genauso Befreiungsschlag wie wahrgewordene Fantasie.
Dort wo auf dem Debüt noch viel Raum für Akustik geschaffen wurde, fordern jetzt Synthies mit jedem Akkord zum Aufspringen, Tanzen und Losrennen auf. Wenn Antje im Kontext ihres anstehenden Projekts über das Loslassen spricht, dann beschreibt sie die Zeit zwischen Debüt und dem Jetzt als das für sie persönlich größte Loslassen. Denn das Freikämpfen aus Beziehungen und Umständen, findet seine logische Fortsetzung im ständigen Hinterfragen der eigenen Denkmuster und Privilegien und wenn die aktuellen, politischen Debatten eines einfordern, dann das Erkennen und Loslösen von ewigen Gewohnheiten. Seine Denkmuster immer wieder auf den Kopf zu stellen, bedeutet für Schomaker in letzter Konsequenz also auch zu erkennen, dass man trotz all der politischen Sozialisation und dem fast schon angeborenen Bewusstsein für Umwelt, seine sicher geglaubte Aufgeklärtheit immer wieder hinterfragen muss.
Da wo aus Hinterfragen neue Eingeständnisse erwachsen, trommelt Antje MusikerInnen und AktivistInnen aus ihrem Umfeld zusammen, um jüngst das „Social Sofa Festival“ zu initiieren. Wie können KünstlerInnen und Fans gleichermaßen für das Nicht-Vergessen der Zustände an den europäischen Außengrenzen sorgen, während zeitgleich eine Pandemie den Alltag aller auf den Kopf stellt? Ein digitales Zusammenkommen zwischen Konzerten und konstruktiven Gesprächen entsteht, in immer wieder neuen Auflagen des Festivals werden unter dem Motto #leavenoonebehind Spenden für die zivile Seenotrettung generiert. Ein Herzensprojekt, das seinen Platz inmitten all der musikalischen und persönlichen Weiterentwicklung gefunden hat, vielleicht sogar aus all dem resultiert ist. Denn mit „Verschwendete Zeit“ läutet die Künstlerin nicht nur einen neuen, vielversprechenden musikalischen Abschnitt ein, sondern stellt auch eine Schomaker vor, die immer wieder in die Verhandlung mit der eigenen Verantwortung geht – Festgehalten wird nur am Loslassen.”
Bild & Textquelle: antjeschomaker.de